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Struktur

Entstanden im September 2024
Größe: jeweils 60 x 30 cm

Struktur

Nora und Elias saßen nebeneinander vor dem Feuer. Die Flammen warfen warme, tanzende Schatten auf das verkohlte Holz vor ihnen. Es war eine dieser stillen Nächte, in denen alles zur Ruhe gekommen war – außer den Gedanken, die in Elias’ Kopf kreisten. Die Hitze des Feuers ließ die Luft flimmern, und der Geruch von verbranntem Holz war intensiv. Doch anstatt erdrückend zu wirken, hatte er etwas Beruhigendes.

„Weißt du“, sagte Nora leise, ohne ihren Blick von den Flammen zu nehmen, „manchmal hält man sich zu sehr an Strukturen fest, die eigentlich längst zerbrochen sind.“

Elias nickte, unsicher, ob sie auf ihn anspielte oder nur eine allgemeine Wahrheit aussprach. Er wusste, dass er seit langem an etwas festhielt, das ihm zwar Sicherheit bot, aber ihn auch erstickte. Nora, die immer einen Schritt vorauszudenken schien, hatte ihn genau an diesem Punkt erwischt, an dem sein innerer Konflikt tobte.

 

Sie erhob sich und trat zu dem ersten der Holzstücke, das vor ihnen aufgestellt war. „Siehst du das hier?“ Sie deutete auf das verbrannte Holz, dessen Oberfläche dunkel und rau war, wie von der Zeit gezeichnet. „Es ist durch Feuer gegangen, verändert und geformt. Doch obwohl es verbrannt ist, ist es nicht zerstört. Es hat seine Struktur behalten, nur auf eine andere Art.“

Elias stand auf und ging zu ihr. Er strich mit den Fingern über das Holz und spürte die raue Textur. „Es hat gelitten“, murmelte er, mehr zu sich selbst als zu ihr.

„Ja“, stimmte Nora zu. „Aber das Feuer hat ihm auch eine neue Identität gegeben. Es zeigt, dass auch nach einem Bruch etwas Neues entstehen kann.“

Elias dachte über ihre Worte nach. Er fühlte sich oft so, als würde er selbst in den Flammen stehen – nicht in denen des Feuers, sondern in den Flammen des Alltags, der Verantwortung, der Erwartungen. Und doch spürte er in letzter Zeit das wachsende Verlangen, aus dieser Struktur auszubrechen.

 

„Und hier,“ fuhr Nora fort, während sie zum zweiten Holzstück überging, „das glatte, lackierte Holz. Perfekt poliert, makellos. Auf den ersten Blick sieht es aus, als sei alles in Ordnung. Aber es verbirgt, was darunter liegt. Eine Oberfläche, die nur scheinbar ruhig ist.“

Elias ließ seinen Blick über das glänzende Schwarz wandern. Es erinnerte ihn an die Fassade, die er oft aufrechterhielt – nach außen hin ruhig, kontrolliert. Aber darunter lag so viel, das er nicht preisgab. „Es ist wie eine Maske“, sagte er leise.

Nora nickte. „Manchmal brauchen wir diese Maske. Sie schützt uns. Aber wenn wir uns zu sehr an sie klammern, verlieren wir den Zugang zu dem, was darunter verborgen ist.“

Elias wusste, dass sie recht hatte. Diese Fassade, so perfekt sie auch wirkte, ließ ihn oft erstarren. Es war Zeit, sie abzulegen.

Nora führte ihn zum dritten Stück, einer geschliffenen Struktur, die an Schuppen erinnerte und durch Feuer ihre finale Gestalt erhalten hatte. „Und hier“, sagte sie, „ist der Übergang. Die Oberfläche ist nicht glatt, sie ist uneben, rau. Aber genau darin liegt ihre Schönheit. Es ist die Veränderung, die Transformation, die sie ausmacht.“

Elias betrachtete die Schuppenstruktur, die durch das Licht des Feuers beinahe lebendig wirkte. „Es sind unterschiedliche Formen, aber sie passen trotzdem zusammen“, stellte er fest.

Nora lächelte. „Genau. Es sind verschiedene Strukturen, aber sie ergänzen sich. Sie sind Teil eines Ganzen, ohne dass eine die andere überflüssig macht. Man muss sich nicht auf eine einzige Struktur festlegen. Man kann mehrere Formen in sich tragen und trotzdem im Einklang bleiben.“

 

Elias spürte eine innere Ruhe, die er lange vermisst hatte. Es war, als hätte Nora ihm mit ihren Worten und den Bildern vor ihnen einen neuen Weg aufgezeigt. Ein Weg, der nicht von starren Regeln bestimmt war, sondern von Flexibilität, von der Akzeptanz, dass Veränderung nicht bedeutet, sich zu verlieren, sondern sich neu zu entdecken.

„Vielleicht ist es an der Zeit“, sagte Elias leise, „meine eigene Struktur zu verändern.“

Nora legte eine Hand auf seine Schulter. „Die Strukturen sind immer da. Aber du entscheidest, welche dich formen – und welche du selbst formst.“

Making of...

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