Lose Enden
Entstanden im September 2024
Größe: 150 x 50 cm
Lose Enden
Jan war von Kindesbeinen an fasziniert vom Meer. Aufgewachsen in einem kleinen Küstendorf, fühlte er sich vom Klang der Wellen und dem Geruch des Salzes immer angezogen. Sein Vater war Fischer gewesen, doch Jan wollte mehr. Er wollte die Welt sehen, die unbekannten Weiten des Ozeans erkunden und die fernen Häfen erreichen, von denen er in den Geschichten hörte.
Als junger Mann heuerte er auf einem Handelsschiff an und bereiste in den nächsten Jahrzehnten jeden Winkel des Ozeans.
Das Leben auf See war nicht leicht, doch Jan liebte die Freiheit. Der Wind im Segel, der Blick auf den Horizont, das unvorhersehbare Spiel der Wellen. Jeder Tag war anders, jeder Sturm eine neue Herausforderung. Doch das Meer hatte auch seine Schattenseiten. Die langen Tage und Nächte auf offener See, weit entfernt von jeglicher Zivilisation, ließen viel Zeit zum Nachdenken. Und mit der Zeit holten ihn die Erinnerungen an all das ein, was er zurückgelassen hatte.
Es gab Menschen in Jans Leben, zu denen er einst eine enge Verbindung gehabt hatte. Eine Jugendliebe, die er auf einer seiner Reisen aus den Augen verloren hatte, Freunde, die durch seine Abwesenheit distanziert wurden. Für Jan fühlte es sich manchmal so an, als wären diese Beziehungen wie lose Enden, die er nie wieder fest in der Hand halten konnte. Wie die Seile, die auf einem Schiff verwendet wurden, um die Segel zu spannen und das Schiff in die richtige Richtung zu lenken – doch die Enden dieser Verbindungen waren ausgefranst, abgenutzt von der Zeit und den Gezeiten.
Er hatte gehofft, dass die Reisen ihm Antworten auf die großen Fragen des Lebens geben würden. Doch je mehr Zeit verging, desto mehr erkannte er, dass nicht alles auf dem Meer zu finden war. Die echten Antworten lagen dort, wo er seine Wurzeln hatte – bei den Menschen, die ihn geliebt hatten und immer noch auf ihn warteten.
Und so kehrte Jan eines Tages zurück. Das Meer würde ihn immer rufen, und er wusste, dass er nie ganz von ihm loskommen würde. Doch jetzt war es an der Zeit, einige der losen Enden seines Lebens zu verknüpfen, bevor sie ganz entglitten. Er suchte alte Freunde auf, ließ lange, ruhige Gespräche zu und versöhnte sich mit seiner Vergangenheit. Am Ende fand er eine tiefe Ruhe – nicht, weil er alles im Griff hatte, sondern weil er akzeptierte, dass manche Dinge im Leben unvollständig bleiben dürfen. Doch das bedeutete nicht, dass sie nicht wertvoll waren.
Das Bild, das er in seinem Kopf trug, war immer dasselbe: Ein Seil, das fest mit einem Boot verbunden war, aber dessen Ende lose im Wasser trieb. Es war kein Zeichen von Schwäche, sondern von Freiheit. Denn manchmal bedeutete Loslassen auch, sich selbst zu erlauben, neue Wege zu finden.